Im Land der Schafe

Einmal um Island herum — Reisebericht
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Montag, 20. Juni 2011

Zieht es einen nach Island, so ist es unabdingbar, einmal mit dem Auto die Ringstraße Nr. 1 entlang um die gesamte Insel zu fahren. Obwohl wir leidenschaftlich gern Städtereisen unternehmen, war es ein lange gehegter Traum, Europas einsamen Vorposten im Nordatlantik zu besuchen. Für die 1.339 Kilometer hatten wir drei Tage angesetzt, der vierte und letzte Tag sollte der Hauptstadt Reykjavík vorbehalten bleiben. Mit sorgfältiger Planung reicht diese Zeit völlig aus. Die Finanzkrise, die Island beinahe völlig ruiniert hat, spielte uns in die Karten, da ihretwegen der Wechselkurs der Isländischen Krone um ein Vielfaches günstiger für uns zum Euro stand als noch vor wenigen Jahren.

Während des Fluges von Köln aus in den fernen Nordwesten wurde es zunächst dunkel und dann wieder hell, obwohl die Nacht gerade hereinbrach. Man könnte meinen, wir hätten die untergehende Sonne hinter dem Horizont hervorgeangelt. Als unser Germanwings-Flieger um Punkt Mitternacht auf dem Flughafen von Keflavík landete, war sie noch nicht hinter dem Horizont verschwunden. Am Flughafen wartete schon der Sohn des Hotelinhabers darauf, uns und andere Passagiere mit seinem Kleinbus zur Unterkunft zu bringen. Ganz Nordmann sprach er während der Fahrt kein Wort mit uns. Gegen 1.30 Uhr lagen wir endlich in den Betten.

Am Montagmorgen brachte man uns um 8.30 Uhr wieder zum Flughafen, wo wir uns beim Autoverleih Budget einen VW Polo mieteten. Wegen des Ausbruchs des Grímsvötn im Mai wies man uns auf einige Vorsichtsmaßnahmen bei plötzlichem Ascheregen hin, um das Auto nicht zu beschädigen, etwa, den Scheibenwischer nicht zu benutzen. Wie wir nach Deutschland hätten zurückkehren sollen, hätte uns in einem solchen Fall wohl größere Sorgen bereitet.

Mit verstautem Gepäck und einem kurzen Blick auf die Landkarte machten wir uns auf in Richtung des 40 Kilometer entfernten Reykjavíks. Von dort aus ging es auf die Ringstraße, die bevorzugt gegen den Uhrzeigersinn bereist wird. Warum dies so ist, ist mir allerdings nicht bekannt.

Auf dem Weg nach Vík í Mýrdal, unserer ersten Etappe im Süden Islands, fing es schon bald an zu regnen. Noch in Deutschland hieß es im Wetterbericht, die ersten beiden Tage werde die Sonne scheinen, während es gegen Mitte der Woche kippen sollte. Ich hatte mit S. den Fahrersitz getauscht und schoss vom Beifahrersitz aus einige Fotos, während J. es sich auf der Rückbank gemütlich gemacht hatte. An einem scheinbar verlassenen Bauernhof legten wir eine kurze Rast ein. Wie überall an der Ringstraße wurden wir auch hier von am Straßenrand herumstehenden neugierigen Islandschafen ausgiebig gemustert.

Bald erreichten wir den Skógafoss, einen imposanten 60 Meter hohen und 25 Meter breiten Wasserfall. Er liegt nur unweit des Eyjafjallajökulls, der uns wegen seines Ausbruchs und des anschließenden Flugverbots über Europa im April 2010 beinahe unsere Reise nach Japan gekostet hätte. Trotz eines Regenschirms war meine Kamera umgehend klitschnass. Laut Hersteller hält sie eigentlich nur Spritzwasser aus, und diese Grenze war lange überschritten. Sie muss es eben abkönnen.



Knapp 200 Kilometer entfernt von Reykjavík liegt Vík í Mýrdal, ein kleiner malerischer Ort mit rund 300 Einwohnern. Man kann in Island teilweise mehrere hundert Kilometer fahren, ohne auf eine ähnlich große Siedlung zu stoßen. Im Supermarkt, der diesen Namen nicht verdient, deckten wir uns mit Wasser, Süßigkeiten und Sandwiches, die wir noch an Ort und Stelle verdrückten, ein. Ehe wir unsere Reise fortsetzten, statteten wir dem auf einem Hügel gelegenen Friedhof einen Besuch ab. Im Falle eines Vulkanausbruchs ist die Dorfkirche Anlaufstelle für die Evakuierung der Bewohner.

Für die folgende Stunde übernahm J. das Steuer. Hinter Vík í Mýrdal kam uns nur noch selten ein Fahrzeug entgegen, auch die Landschaft wurde zunehmend grau. In solch lebensfeindlichen Gegenden kann man sich nur fragen, was Menschen dorthin verschlagen hat. Irgendwann erreichten wir einen Rastplatz im Nirgendwo, auf dem unzählige Steinpyramiden zu finden war. Als Reisender soll man selbst einen Steinhaufen errichten, damit einem das Glück auf seinem weiteren Weg hold bleibt. Um die Natur zu schonen, stellt das Straßenbauamt hierfür eigens Steine bereit. Benannt ist der Platz nach einem Großgut, das im Jahr 894 beim ersten dokumentierten Ausbruch der Katla vernichtet wurde. Außerhalb meines Blickfeldes legte J. ein weiteres Steinchen auf eine der Pyramiden. Vielleicht wurde deshalb die große Brücke, die wir im Anschluss überquerten, erst zwei Wochen später bei einem Gletscherlauf zerstört, wodurch die Ringstraße einige Tage lang unpassierbar war.

Kurz nachdem S. unsere Fahrt wieder aufgenommen hatte, kamen wir an einer kleinen Herde Schafe vorbei. Obwohl Tiere auf der Ringstraße Vorfahrt genießen, gingen wir nur selten vom Gas, denn sonst hätten wir die Strecke kaum in drei Tagen bewältigen können. Diesmal wurde die Herde jedoch von einem Hirtenhund bewacht, der ohne zu zögern losspurtete. S. fuhr ungespitzt weiter und verfehlte ihn nur um wenige Zentimeter; hätte sie gebremst, wäre er Geschichte und wir um viele Kronen ärmer, wenn wir die Spuren des Malheurs nicht vor ihrer Entdeckung hätten beseitigen können.





Nach vielen Kilometern Geröllwüste erreichten wir den Skaftafell-Nationalpark, wo es den Svartifoss, den schwarzen Wasserfall, zu bestaunen gibt. Auf dem kleinen Parkplatz reihten wir uns neben zwei Pkw aus Dresden, einem VW-Bus aus Bautzen sowie einem Motorrad aus Potsdam ein. Eine gute halbe Stunde ging es zu Fuß bergauf und an einigen zum Teil recht hohen Wasserfällen vorbei. Der Blick vom ungesicherten Rand eines Wasserfalls aus in den Abgrund erfordert Schwindelfreiheit, will man nicht an der Kante wie ein besoffener Affe herumtorkeln, wie ich es tat.

Der Svartifoss selbst ist nicht auffällig hoch oder breit, jedoch strahlen die ihn einrahmenden Basaltsäulen eine eigenartige Bedrohlichkeit aus. Man kann sich vorstellen, dass er gerade im Winter einen imposanten Eindruck machen muss. Während ich mich für eine Langzeitbelichtung nur knapp hinter eine Absperrung wagte, die dem Naturschutz dienen soll, trampelten andere Touristen unmittelbar vor dem Wasserfall herum.





Froh darüber, während unserer kurzen Wanderung nicht nass geworden zu sein, setzten wir unsere Reise nach Höfn im Südosten Islands fort. Es war bereits 17.00 Uhr, aber das sollte uns angesichts des immerwährenden Tageslichts nicht weiter stören. Da wir auf der Ringstraße nur selten anderen Fahrzeugen begegneten, hielten wir oft mitten auf der Straße an und bestaunten die Landschaft.

Rund 80 Kilometer vor unserem Ziel kreuzten wir am Gletschersee Jökulsárlón einen Ausläufer des Vatnajökulls, Europas größtem Gletscher nach Volumen. Am nördlichen Rand des Gletschers und für uns daher nicht sichtbar liegt der Grímsvötn, der im Mai ausgebrochen war und die Eisberge des Sees mit Asche bedeckt hatte. Sehr eindrucksvoll waren die gewaltigen Gletscherzungen, die man auf der Fahrt immer wieder am Horizont ausmachen konnte. Auch der Hvannadalshnúkur, mit 2.110 Metern Islands höchste Erhebung, liegt am südlichen Rand des Vatnajökulls und lässt sich bei gutem Wetter erblicken. Das Thermometer war inzwischen auf fünf Grad Celsius gefallen und der Wind blies uns scharf um die Ohren. Islands Hochsommer fühlt sich bisweilen an wie ein strenger Spätherbst an der Nordseeküste.



Auf dem weiteren Weg besserte sich das Wetter allmählich wieder und sogar die Sonne kam zum Vorschein. Die Landschaft wurde freundlicher und grüner und das Fahren auf einer so weitläufigen, verlassenen Straße macht nun einmal großen Spaß.



Nach genau 500 Kilometern erreichten wir gegen 19.00 Uhr Höfn, wo wir als erstes unseren Polo volltankten. Vorher mussten wir allerdings in der Tankstelle nachfragen, welche Zapfsäule sich auch ohne die auf Island übliche Tankkarte benutzen lässt.

Unser Gasthaus lag südlich in der Stadt am Hafen. Man schickte uns von dort aus jedoch zurück in ein anderes Gasthaus am Stadteingang. Der einzige Supermarkt hatte bereits seit 19.00 Uhr geschlossen, also aßen wir bei der Tankstelle einen Happen. Den Abend verbrachten wir bei mitgebrachtem Kölsch aus dem Kölner Flughafen im Hotel. Amüsiert beobachteten wir vom Fenster aus, wie ein Junge mit einer Packung Salzstangen in der Hand die Familie im Nachbarhaus besuchte und uns völlig verwundert ansah. Fremdländische Südländer wie uns sieht man wohl auch in Höfn nur allenthalben.